„Gucken“ - 2005 Galerie ICON
„Gucken“ - 2005 Galerie ICON

„Gucken“ heißt für Sven Wiebers: genau hinsehen

 

Im Herbst 2002 stellte Sven Wiebers in der Berliner Galerie ICON erstmals großformatige, nahezu fotorealistisch gemalte Arbeiten vor. Sie alle zeigten Großstadtveduten mit dem besonderen Blick auf das Nebensächliche, Beiläufige. Die Motive waren stets intim, nirgends glichen sie den stereotypen Kodak-Point-Ansichten und vermittelten doch immer das Typische einer Stadt – sei es New York, Barcelona oder Tokio.

 

Die neuen Arbeiten von Sven Wiebers konzentrieren sich nun auf ungewöhnliche Details, die er in teilweise ebenso ungewöhnlichen Formaten festhält. Er wählt das Naturhafte, das Konkret-Gegenständliche unter dem Gesichtspunkt seiner formalen Struktur. Die geometrischen Eigenheiten der Bildgegenstände treten in den Vordergrund. Rhythmus, Muster und Struktur in Form oder Farbe bestimmen die Komposition. Die orthogonale Rasterstruktur von Häuserfassaden wird ebenso thematisiert wie ein Waldstück als ein Gebilde von Schrägen oder die freirhythmische Anordnung von Blüten. Dadurch wird der Blick des Betrachters von der Flüchtigkeit des Moments auf etwas Allgemeingültigeres gelenkt.

 

Die kompositorischen Mittel unterstützen dieses Anliegen. So gelingt es Sven Wiebers, durch die Betonung formaler Gestaltungsaspekte teilweise zu Klischees gewordene Motive und Vorstellungen aufzubrechen. Das Profane wird gezeigt und durch das Aufzeigen seiner Grundsätzlichkeit aufgewertet. Dem mischt sich gleichzeitig ein Maß an Geheimnisvollem und Unerforschtem bei.

 

Sven Wiebers findet die ihn interessierenden Rhythmen und Strukturen sowohl in dem in schmutziger Lache schwimmenden Müll der Londoner „Docklands“ als auch in einem üppigen Blütenbusch in „Hamburg 28“. Stets steht die Lust an der Entdeckung und Darstellung der besonderen Perspektive oder Betrachtungsweise im Vordergrund. Der eigentliche Ort und seine Umgebung werden ebenso nebensächlich wie das dargestellte Objekt selbst. Schließlich ist es unerheblich, ob der Betrachter im Gemälde „M“ sofort einen verrosteten Container erkennt.

 

Die Verwendung einer konventionellen, realistischen Maltechnik stellt sich auf den ersten Blick sicher als Protest gegen den raschen Wechsel der Moden dar. Sven Wiebers‘ Kunst entwickelt sich im Spannungsfeld mehrerer Gesichtspunkte. Dabei verweisen die Verhältnisse von Wirklichkeit und Fiktion sowie von Kunst und Fotografie wechselseitig aufeinander.

 

Der Fotoapparat ist für den Maler Wiebers ein Werkzeug, das einen unmittelbaren und schnellen Zugriff auf die Wirklichkeit erlaubt. Dabei bleibt das fotografische Ergebnis jedoch ausschließlich Hilfsmittel – ganz im Sinne Delacroix‘: „Denn trotz seiner erstaunlichen Realität ist die Fotografie nur ein Spiegelbild der Wirklichkeit, nur eine Kopie, eben weil sie so genau ist.“

 

Aus der Adaption dieses Gedankens zieht die Malerei von Sven Wiebers einen Teil ihrer Kraft. So assoziiert die minutiöse Malweise das Bild als Kopie der fotografierten Natur. In Wirklichkeit jedoch verhüllt gerade diese Technik die vom Künstler vorgenommenen Veränderungen des Bildinventars, der Komposition und nicht zuletzt der Farbigkeit.

 

Die gewählte Maltechnik markiert aber auch das Spannungsfeld zwischen dem Akt des Malens selbst und der allgegenwärtigen fotografischen Reproduktion. Denn letztendlich widersetzt sich die Fotografie dem Verlangen des Künstlers nach emotionaler Unmittelbarkeit. Der körperliche Einsatz beim Malen ist trotz des gestalterischen Kalküls die direkteste Verwirklichung der künstlerischen Idee.

 

Gabriele Schwartz